J. Bruning u.a. (Hrsg.): Egypt and the Eastern Mediterranean World

Cover
Titel
Egypt and the Eastern Mediterranean World. From Constantinople to Baghdad, 500–1000 CE


Herausgeber
Bruning, Jelle; de Jong, Janneke H. M.; Sijpesteijn, Petra M.
Erschienen
Anzahl Seiten
508 S.
Preis
€ 109,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Krönig, Alte Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Der vorzustellende Sammelband thematisiert in 15 englischsprachigen Aufsätzen knapp 442 Jahre ostmediterrane Geschichte. Von der Zeit Justinians (527) bis zur Eroberung Ägyptens durch die Fatimiden (969) wird die Stellung Ägyptens als Teil des östlichen Mittelmeerraums untersucht. Dabei verstehen sich die Herausgeber und Autoren als Teil einer neueren Forschungsrichtung, die die „center (or multiple centers) and its hinterland“ und nicht die Erzählung über einzelne Reiche in den Vordergrund stellt. Vielmehr interessiert die Autoren, welche Art von wechselseitigen Beziehungen sich zwischen Ägypten und seinen Beherrschern (Byzantinern, Omajjaden oder Abbasiden) zeigen.

Der dreiteilige Band („Political and Administrative Connections“, „Economic Connections“ und „Social and Cultural Connections“) nimmt richtigerweise für sich in Anspruch, einer der wenigen zu sein, der im Querschnitt die präislamische und islamische Geschichte Ägyptens und seiner mediterranen Umgebung vom 6.–11. Jahrhundert auf unterschiedlichen altertumswissenschaftlichen Gebieten untersucht. Einige Beiträge, die meiner Meinung nach besonders erkenntnisreich sind, seien hier nun exemplarisch vorgestellt.

Yaacov Lev stellt die innerpolitischen Entwicklungen in Ägypten über die längere Zeit der Etablierung des Islams hinweg vor. Er berichtet sowohl über lokale Veränderungen als auch die Nutzung von Ressourcen für Bauprojekte und die wirtschaftliche Einbindung in die großen Strukturen des Reichs. Aber auch auf die Probleme weist er hin, so stellt er die Rebellionen um 802 und 832 nachvollziehbar dar. Neben diesen innenpolitischen Entwicklungen beschäftigt sich Lev mit der Frage des Entstehens einer islamischen Identität in Ägypten. Für den Autor zeigt sich, dass sich diese über die Zeit unterschiedlich ausdrückt. Verschiedene Epochen (Omajjaden-/Abbasiden-/Fatimidenzeit) hätten unterschiedliche Grade an Einfluss im Nilland hinterlassen.

Die Studie der Historikerin Sylvie Denoix untersucht historiographische Narrative zur Beziehung Ägyptens und seines südlichen Nachbarn Sudan. Anhand eines Vertrages und eines Briefes stellt sie dar, dass diese Quellen jeweils einen anderen Eindruck von der Art der ägyptisch-nubischen Beziehung in islamischer Zeit geben. Danach berichtet sie von der Darstellung der Beziehung zwischen Ägypten und Nubien durch islamische Geschichtsschreiber unterschiedlicher Provenienz. Dadurch untermauert sie ihre These, dass die Unaufhaltsamkeit muslimischer Armeen als bloßes Narrativ (allmählich) entstanden sei. Sie plädiert mit ihrem Beitrag letztendlich dafür, dass von einer differenzierteren Beziehung zwischen Ägyptern und Nubiern auszugehen sei, als die retrospektive arabische Geschichtsschreibung den Eindruck erweckt.

Der Beitrag des Mittelalterhistorikers Mathieu Tilliers untersucht die ägyptische Rechtstradition in omajjadischer Zeit (7.–8. Jahrhundert). Dabei betrachtet er zunächst die Beziehung mehrerer berühmter ägyptischer und nichtägyptischer Juristen untereinander, um dann die Entwicklung der ägyptischen Rechtstradition im Rahmen der omajjadischen Politik darzustellen. Dadurch zeigt er, dass die Tradition der ägyptischen Juristen insgesamt auf den Lehren einzelner Gefährten Mohammeds beruht. Die Basis dieses Beitrages bilden mehrere Quellen, etwa die heute zu rekonstruierenden Schrift von Ibn Yūnus oder die Analyse der Muṣannafs (9. Jahrhundert). Insgesamt stellt er eine Abnahme der Relevanz der ägyptischen Rechtstradition über die omajjadische bis in abassidische Zeit hin fest. Er führt diesen Prozess auf einen fast reichsweiten Veränderungsprozess zurück, der durch das Durchsetzen medinischer Rechtstraditionen geprägt sei.

Petra Sijpesteijns untersucht auf unterschiedlichen Ebenen die Beziehung des muslimischen Ägyptens zum Kalifat von der Zeit der Eroberung bis zur Zeit der Fatimiden. Dabei versteht sie die Beziehung zwischen Ägypten und dem Reich als gegenseitig voneinander abhängig. Einerseits nimmt sie die Perspektive des Kalifats auf Ägypten in den Blick und andererseits die Verortung Ägyptens im Gesamtkonzept des Kalifats. Sie bemerkt, dass die Kalifen nicht nur von der Relevanz Ägyptens wussten, sondern auch um Kontrolle des Landes rangen, was sie anhand der Ernennung enger Verwandter zu Gouverneuren beschreibt. Sie legt die strategisch relevante geographische Lage des Landes dar, sowie die fortdauernde wirtschaftliche Relevanz für das Kalifat. Zum Schluss resümiert sie, dass sich die Verbindungen zwischen Damaskus/Bagdad und Ägypten nicht einheitlich beschreiben lassen: Reich und Provinz hätten sich zwar angenähert, die Provinz gebe aber keineswegs jede Eigenheit auf.

Die Studie der Archäologin Joanita Vroom untersucht die Produktion und Verteilung ägyptischer Keramik überwiegend im östlichen Mittelmeerraum vom 7.–11. Jahrhundert. Ziel ist es auch hier, die Verortung Ägyptens im Mittelmeerraum zu verstehen. Methodisch geht sie dabei so vor, dass sie die ausgewählten unterschiedlichen Keramiken zunächst vorstellt und dann ihren Verbreitungsgrad untersucht. Gerade die Produkte des alltäglichen Handels hält sie für „indicators“ der Intensität des Warenaustauschs. Anhand der Funde von L(ate)R(oman)A(mphora) 7 (5.–10./11. Jahrhundert) zeigt sie exemplarisch die Verbreitung ägyptischer Keramikwaren bis in den Westen (Britannien). Auch der zweite von ihr behandelte Keramiktyp, die sogenannte „Bag-Shaped Amphora“ (6.–10./11. Jahrhundert), belegt einen regen Warenaustausch. Die Eroberung durch die Muslime hatte folglich zunächst kaum einen Einfluss auf die Keramikproduktion in Ägypten und den überregionalen/transmaritimen Austausch. Ägyptens Häfen (Mittelmeer und Rotes Meer) und Städte blieben wichtige Handelspunkte. Besonders hervorzuheben sind bei diesem Beitrag die gut beschrifteten Karten und Fotographien.

Der Beitrag des Historikers Jelle Brunings arbeitet mit dem sogenannten discourse-of-place-Ansatz von Zayde Antrim.1 Dieser nimmt an, dass die spezifische Darstellung von Orten in Texten eine „legitimacy“ für Gruppenzugehörigkeit erschaffe. Ziel seines Beitrages ist es, literarische Strategien zur „geographical sanctity“ Alexandrias zu untersuchen. Hierzu untersucht er vor allem Narrative innerhalb unterschiedlicher arabischer Quellen über die Zerstörung der Stadt in der Vergangenheit, der apokalyptischen Zukunft und über die den Zuhörern sichtbare Gegenwart. Der Beitrag endet mit der Feststellung, dass es sich auch bei Alexandria aus muslimischer Perspektive um einen identitätsstiftenden Erinnerungsort handelt.

Die Althistorikerin Jennifer Cromwells untersucht, inwieweit nach der islamischen Eroberung die vermehrte Nutzung des Koptischen als Sprache der Administration einer imperiumsweiten Sprachpolitik oder eher einer lokalen Entwicklung zu verdanken ist. Koptisch war vor allem dort administrative Sprache, wo mit Nichtmuslimen kommuniziert wurde, es waren also pragmatische Gründe, welche die Nutzung bedingten. Die Autorin zeigt anhand von Papyri, dass sich sprachliche Veränderungen überall im Reich nachweisen lassen. Auch die Methode der Verbreitung des Koptischen in Ägypten untersucht sie anhand verschiedener Dokumente. Insgesamt ist die durch den Gebrauch des Koptischen mögliche verstärkte administrative Kontrolle für sie Hauptargument für den ausgeweiteten Gebrauch der Sprache der Bevölkerungsmehrheit.

Der Aufsatz von Janneke H. M. de Jong fragt nach den Ursachen für den Verlust des Griechischen in den Quellen nach der islamischen Eroberung. Theoretische Grundlage ihrer Untersuchung ist das „concept of cultural change“. Griechisch lässt sich in Ägypten nach der Eroberung noch 200 Jahre dokumentarisch nachweisen. Den abnehmenden Gebrauch des Griechischen und das Zunehmen des Arabischen versteht sie als Ergebnis eines Prozesses, der beispielhaft für Sprachveränderungen in Gesellschaften untersucht werden soll. Ihr Fazit ist, dass die Entwicklungen zum Verschwinden des Griechischen durch die veränderte politische Situation und das Aufkommen des Koptischen und vor allem des Arabischen zu erklären seien.

Eugenio Garosi untersucht in seinem Beitrag ins Arabische übernommene griechische und lateinische Lehnwörter, die sich in Hunderten administrativen Dokumenten (Papyri, Inschriften, Siegel und Münzen) nachweisen lassen. Frage seines Beitrages ist, inwieweit sich lokale Differenzen im Lehnwörtergebrauch nachweisen lassen. Nach einer thematischen Auflistung von Lehnworten, erläutert er beispielhaft überregionale Ähnlichkeiten der Lehnworte. Schließlich findet der Autor die Erklärung für die Entstehung der Lehnworte in der Entwicklung eines islamischen administrativen Apparats und des Fortbestehens regionaler Eigenheiten.

Ein Beitrag von Maged S. A. Mikhails beschließt den Sammelband. Anders als die bisherigen Aufsätze richtet er sein Augenmerk speziell auf nichtmuslimische Quellen, deren geringe Berücksichtigung er bemängelt. Er setzt sich nun mit unterschiedlichen Gattungen (z.B. Hagiographien und apokalyptischer Literatur) auseinander, um deren Wert für die Arbeit mit dem Ägypten der Zeit von 500–1000 herauszustellen. Dass dieser Beitrag den Schluss des Sammelbandes bildet, halte ich für überaus passend. Denn auch dieser Band stellt vor allem muslimische Quellen in den Vordergrund. So finden hier die Hervorhebung und Befragung alternativer Quellen ihren berechtigten Platz.

Die nicht explizit aufgeführten Aufsätze thematisieren: Zeichen der Einbindung Ägyptens in der Zeit des Justinians (Peter Sarris), Hintergründe der verhältnismäßig späten muslimischen Eroberung Asuans/Syenes (Stefanie Schmidt), exemplarische Elemente der Politik des ibn Ṭūlūns (Matthew S. Gordon), die Gründung zweier genuin islamischer Städte in Ägypten sowie Palästina (Gideon Avni) und topographische Veränderungen, die zur Entstehung der Stadt Fustat aus einer Festung heraus führten (Peter Sheehan / Alison L. Gascoigne).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Sammelband einen sehr guten Einblick in die Verflechtung Ägyptens in den ostmediterranen Raum über einen langen Zeitraum gibt. Auch vor seinem Entstehungshintergrund – der Band basiert in Teilen auf den Ergebnissen eines Workshops aus dem Jahr 2016 – bildet er gelungen die Herausarbeitung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Einbindungen Ägyptens bis weit in die Zeit nach der muslimischen Eroberung ab. Besonders ansprechend ist, dass hier unterschiedliche Disziplinen (Historiker:innen, Archäolog:innen und Papyrolog:innen) zusammenwirken, um unter Nutzung verschiedene Quellen und Untersuchungsgegenstände ein gemeinsames Thema zu bearbeiten.

Anmerkung:
1 Zayde Antrim, Routes and Realms, The Power of Place in the Early Islamic World, Oxford 2012, S. 2.

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